Landleben

Nachbars Stute Lisa steht etwas gelangweilt auf der schneebedeckten Weide. In der klaren Kälte scheint die Sonne, grasen kann sie aber nicht. Ich halte an und das Pferd kommt geschwind angetrabt. Es gibt Leckerli in Form von getrockneten Feigen und Datteln, das mag sie sehr. Sanft stupst sie mich mit ihren Kopf und dann ihr Blick…

Der erste Schnee ist gefallen. Alles ist ruhig und still. Keine streunende Katze ist zu sehen, der Fuchs lässt sich seit Wochen nicht mehr blicken und das Wild versteckt sich im Wald. Ein Wolf wurde gesichtet, ganz in der Nähe.

Der Fuchs ist wieder da. Einer der Jungfüchse, ich kann das Geschlecht nicht ermitteln, hat das Revier besetzt. Seine Schwanzspitze ist weiß, und er streift durch meinen Garten. Die Fischreste vom Abendessen hat er sich schon geholt. Es knackte, als er den Fischkopf fraß und einen Teil seiner Beute brachte er in seine Vorratshaltung. Er hat wohl den Bau seiner Kindheit jenseits des Gartenzauns übernommen. Natürlich beobachtet der Rotfuchs auch mich und kommt neugierig auf mich zu bis es ihm zu gefährlich wird, dann rennt er davon. Als einen Maulwurf fing, präsentierte der kleine Reineke seine Beute im Maul und lief stolz um den Kastanienbaum bevor im Gebüsch verschwand.

Sie trauen sich noch nicht. Auch diesen Sommer brüten wieder die Schwalben an der Hauswand und im Carport. Wenn die Jungvögel größer sind, verlassen sie ihr Nest und warten auf den Balken auf ihre Fütterung. Die Eltern schaffen den ganzen Tag Nahrung an und verpflegen ihre Kids zur Not auch auf dem Boden nach den ersten mißglückten Flugversuchen. Ich mußte flink den Kater vertreiben, damit er sie nicht verspeist. Er hat wieder das Revier übernommen, nachdem die Füchse eine neue Bleibe gefunden haben. In der Flugschule am Carport ist immer viel Gepipse und Geschnattere zu hören, wenn die Jungschwalben anfangen zu flattern und zu segeln. Bald fliegen sie wieder gen Süden. So gerne wüßte ich, wo genau sie den Winter verbringen.

Kurz vor Ferienbeginn bin ich in der 2. Klasse der Peeneschule in Groß Gievitz. Ich sitze mit den Schülerinnen und Schülern und ihrer Klassenleiterin Hanka Cabrera im Kreis. Die Kinder haben sich exzellent vorbereitet und stellen mir viele anspruchsvolle Fragen: Wie funktioniert die Röntgendiagnostik? Treten Coronainfektionen auch bei Tieren auf? Welche Aufgaben hat ein Tierarzt bei landwirtschaftlichen Nutztieren? Aus meinem Koffer hole ich Instrumente und wir üben Untersuchungen mit dem Stethoskop, dem Otoskop und dem Ophtalmoskop. Dann zeige ich den Kindern am Klassendrachen, wie eine Spritze gesetzt wird. Ein paar Plastikspritzen, immer heiß begehrt, verteile ich noch. Mit einem Geschenk und sehr freundlichen Worten bedanken sich die Schulkinder bei mir für die tiermedizinische Unterrichtsstunde.


Die Kirschen im Garten sind reif. Ein Buntspecht schnappt sich in den oberen Ästen die Früchte, ich ernte mit der Leiter das Obst für den Kuchen und abends kommen die Füchse und knabbern genußvoll die Kirschen unter dem Baum. Mein Rüde hat jetzt eine Familie. Sein Bau befindet sich jenseits des Zauns im verwilderten Feldstreifen und mein Garten ist das Jagdrevier der Fuchseltern. Seit ich die Fähe mit einem Maulwurf in der Schnauze am Praxisfenster vorbeilaufen sah, gibt es keine neuen Maulwurfshügel mehr. Auch mein Komposthaufen wird regelmäßig von ihnen auf Nahrung untersucht. Letzte Nacht verspeiste die Fuchsfamilie dort die Gräten unserer Grillfische und lief unter meinem Carport hindurch zu ihrem Bau zurück, vorne die Fuchseltern und dahinter die beiden Welpen, alle auf einer Linie. Ich verstand, was schnüren in der Jägersprache bedeutet.

Der Frühsommer ist in Mecklenburg angekommen. Die Rapsfelder blühen sonnengelb und im Garten wächst und wuchert alles. Fast alles, meine frisch gesäten Bienenpflanzen im Rondel sind weg. Das zarte Grün wurde von den Hasen einfach weggefressen. Ich habe noch laut schreiend versucht, die Langohren zu vertreiben, aber ich war zu spät. Und das, obwohl der Fuchs sich hier immer mehr häuslich einrichtet. Er flaniert über meine Terrasse, nutzt meine kleinen Teiche als Trinkbar und lauscht meiner Ansprache aufmerksam. Vielleicht nenne ich ihn Hugo II.

Wisent im Reservat

Mit Felix Timm auf der Pirsch

Heute gibt es Großwild, genauer gesagt die größten Landsäugetiere Europas in freier Wildbahn. Felix Timm, Forstwirt und Mitarbeiter im Wisentreservat, nimmt mich auf seinem Kontrollgang mit und lässt mich an seinem profunden Fachwissen teilhaben. Auf der Halbinsel im Kölpinsee, dem Damerower Werder, lebt seit 1957 eine Wisentherde im Naturschutzgebiet. Der Wisent oder Europäische Bison ist eine europäische Rinderart, die fast ausgestorben war. Im Mittelalter streiften sie durch die Urwälder, heute sind sie nur noch in Zoos oder Naturparks zu finden, so wie hier in der Müritzer Seenlandschaft. Die Schaugatter des Reservats können regulär besucht werden.  Es gibt nicht nur den Wisent zu sehen, sondern auch Rotwild und Seeadler, die mit ihren mächtigen Flügeln über die Halbinsel gleiten. Ich bin tief beeindruckt von der Wildnis in der Nachbarschaft, erinnert sie mich an meine Reise durch die Landschaft Botsuanas vor vielen Jahren. 

Am Freitag um 7:40 Uhr bin ich im Klassenzimmer der ersten Klasse in der Grundschule Kargow. Die Kinder halten die ausgefüllten Patientenkarten für ihre kranken Stofftiere im Wartebereich bereit. Nacheinander werden mir die Tiere vorgestellt damit ich sie behandele. Professionell unterstützt werde ich von der Lehrerin Frau Weber, sie ermittelt vorab das Gewicht der Patienten. Plüsch-katze Mimi hat eine schwere Lungenentzündung und bekommt eine Injektion. Der Teddybär leidet unter starken Bauchschmerzen, verursacht durch eine falsche Fütterung; ihm verabreiche ich Tabletten. Notwendige Entwurmungen und Entflohungen bespreche ich mit den Tierhaltern. Anschließend führe ich eine Tierarztsprechstunde im Sachkundeunterricht der zweiten Klasse durch. Alle Kinder sind aufgeregt, aber sehr konzentriert und stellen viele kluge Fragen. Mir macht dieser Schuleinsatz viel Spaß und ich komme gerne wieder.

Schwere Maschinen mußten ran

Die fleißigen Helfer

Die Rutschpartie hat ein Ende. Der vom Winterwetter aufgeweichte Weg zu meiner Praxis war für manche Fahrzeuge kaum zu bewältigen. Einige Male mußte der Traktor einen Wagen aus dem Graben ziehen. Ich befürchtete schon, von der Postzustellung ausgeschossen zu werden. Jetzt ist die Zufahrt wieder problemlos befahrbar. 

Manchmal braucht es auch kleine Landfluchten. Vor allem im Winter, wenn es kalt ist und der Wind ständig bläst und tagelang die Sonne sich rar macht. Vom Bahnhof Friedrichstraße erreicht man über die Weidendammer Brücke den Schiffsbauerdamm mit dem Bertold-Brecht-Platz. Das war früher auch mein Weg zur tiermedizinischen Fakultät der Humboldt-Universität gewesen. Dieses Mal war das Berliner Ensemble mein Ziel. Ein Theaterabend, etwas Berliner Luft atmen, dann freue ich mich wieder auf mein Mecklenburger Landleben.

Auf dem Land ist man nie allein. Durch das Fenster beobachte ich den Fuchs, der durch den Garten streift. Er hat ein schönes dickes Fell mit einer buschigen Lunte. Der Fuchs scheint gesund zu sein, aber hungrig. Der Januar ist kalt und erfordert einen höheren Energiebedarf, das vertreibt die Scheu. Das Tier wird von meinem erweiterten Kühlschrank auf der Terrasse angelockt, dort steht der Topf mit der Hühnersuppe. Als er mich im Haus bemerkt, dreht er wieder um und widmet sich einem Maulwurfshügel. Ob der Fuchs den Stollengräber verspeist, kann ich nicht erkennen. Dann wühlt er am Teich unten im Laub - Füchse fressen zur Not auch Schnecken - und trollt sich davon.

Es ist Weihnachten, bitterkalt und eine dicke Schneedecke liegt über dem Land. Die Vogelwelt spielt verrückt. Das Streiten der Meisen um die Walnüsse ist tägliches Schauspiel. Das Futtergezänk wird nur unterbrochen, wenn der große Eichelhäher kommt, dann ziehen sich die Kleinen respektvoll zurück. Das Wintermenue habe ich mit Hafer- und Sesamkörner angereichert. Es dauert ein wenig, bis die Vögel verstehen, dass die Körner Futter sind. Dann schaufelt der Eichelhäher mit seinem Schnabel den Hafer wild in sich hinein. Der Buntspecht hingegen entdeckt die Schüssel mit den Walnussvorräten auf meiner Terrasse und versucht nun, die Baumfrüchte zu stibitzen. Dabei kullert eine Nuss herunter, die Meisen stürzen sich darauf, aber sie können die Nuss nicht knacken. Ein paar Meter weiter entdeckt eine andere Meise den Futternapf für die Katze. Die fetten Reste der Weihnachtsente sind für den Vogel unwiderstehlich. Die Meise vergisst alle Vorsicht und versinkt vollständig im Napf, um gierig das Entenschmalz aufzupicken. Sie hat Glück, dass der Kater die Schneemassen scheut und auf seinen Reviergang verzichtet. Ich gehe zu meinem Auto, plötzlich hüpft eine kleine Federkugel unter dem Wagen hervor und guckt mich irritiert an. Ein Rotkelchen wärmt sich an der Standheizung. Glücklicherweise sind die Tage gerade recht kurz, so kann das Federvieh mit seinem bunten Treiben mir wenigstens die Nachtruhe nicht rauben.

Es regnete und regnete und alles wurde matschig. Stute Lisa rutschte aus und lahmte mit dem linken Vorderbein. Sie musste im Stall bleiben und ich behandelte ihre Stützbeinlahmheit entzündungshemmend und schmerzlindernd. Dabei stupste sie mich sanft mit ihrem Kopf und suchte meine Jackentaschen nach Leckerlis ab. Täglich musste sie ein leichtes Lauftraining absolvieren. Jetzt geht es ihr besser, sie grast wieder auf der Weide und freut sich, wenn ich anhalte und ihr Obst reiche.

Das ist er, der neue Kater im Garten, Hugos Nachfolger. Er trägt noch keinen Namen und ist sehr scheu. Als ich am Abend nicht zügig den Tisch auf der Terrasse abräumte, schleckte der Kater genüsslich die Schale mit der Sahne leer. Ich beobachtete ihn dabei durch das Fenster. Als er mich entdeckte, sprang er blitzschnell davon. Er hat sein neues Revier gut unter Kontrolle und meidet den Kontakt zu Menschen. Aber meine Fischreste sind immer schnell weg.

Im Garten legte ich ein Teichbiotop an. Solarbetriebene Springbrunnen sorgen für ein beruhigendes Plätschern. Damit die Blätter des Walnussbaums nicht in den Teich fallen, befestigte ich ein Netz oberhalb der Wasserkante. Diese Vorrichtung versperrte jedoch den Zugang zum Nass. Ich entdeckte einen Frosch, der versuchte, in den Teich zu springen, aber immer auf dem Netz landete. Ein trampolinspringender Frosch, der auf dem Weg in das Wasser verzweifelt, das geht gar nicht. Ich taufte  ihn Baerbock und entfernte rasch das Knüpfwerk, um es etwa höher zu befestigen. Am Folgetag bemerkte ich, dass nicht nur Amphibien Wasser mögen, sondern auch Schlangen. Eine lange Natter mit gelben Flecken hinter dem Kopf schwamm im Teich. Plötzlich schnappte sich dieses Reptil Baerbock und verschlang den Frosch. Die Schlange kam aus dem Wasser und suchte zwischen den Steinen einen Ort für ihren Verdauungsschlaf. [Auf dem Foto befindet sich unten der Schwanz, der Natterkopf rechts am Rand.]


Jahr für Jahr bauen die Schwalben ihre Nester unter meinem Dach. Wenn die Jungen geschlüpft sind, schauen sie neugierig, was unter ihnen so geschieht. Sie hüpfen entlang des Dachbalkens und beobachten mich beim Holzhacken. Wenn es ihnen zu unheimlich wird, flüchten sie zusammen ins Nest. Je größer sie werden, desto anstrengender wird die Fütterung für die Schwalbeneltern, es ist nie genug. Dann beginnt der Flugunterricht. Ängstlich sitzen die Jungschwalben auf dem Balken um die ersten Flugversuche zu starten. Die Eltern zeigen es ihnen immer wieder, aber es braucht Zeit, bis die Kleinen soweit sind. Nun segeln sie um die Häuser, als würden sie Abschied nehmen von ihrem Heimatort.

In der Morgensonne kauert die Häsin im Gras und knabbert Klee und Löwenzahn. Manchmal legt sie ein rätselhaftes Verhalten an den Tag. Sie scharrt vor dem Haus eine Kuhle in die Kieselsteine und schüttelt seltsam ihren Kopf. Sucht sie Wasser oder Kühlung? Dann begreife ich, sie wetzt ihre Zähne an der Kante des Pflastersteins. Die Schneidezähne der Nager wachsen permanent und sind dann mitunter zu lang. Im Frühjahr saß die Häsin oft morgens und abends minutenlang an der Feuerstelle und starrte zum Haus. Ich untersuchte den Ort und dann wurde mir klar, sie säugte ihren Nachwuchs. Die Junghasen waren unter den Steinen und dem Wildwuchs sicher vor den Augen des Adlers. Zwischenzeitlich hoppeln die Youngsters durch den Garten, aber das ist eine andere Geschichte.

Nachbars Stute Lisa beobachtet den Weg zu meiner Praxis. Sie hat ein exzellentes Gehör und kann Motoren in großer Distanz unterscheiden. Wenn ich vorbeifahre und nicht anhalte, wendet sie sich gelangweilt ab. Bleibe ich stehen, kommt sie brabbelnd angetrabt. Gerne beißt sie herzhaft in einen frischen Apfel oder eine Möhre. Mit ihren weichen Lippen klaubt Lisa die Rosinen vorsichtig von meiner Hand. Einen ganz langen Hals bekommt sie, wenn sie nicht abwarten kann, bis ich den Kern aus dem süßen und saftigen Pfirsich entfernt habe. Lisa ist für manchen Schabernack zu haben, zieht Grimassen und lacht. Und gerne beweist sie mir, dass sie im Galopp schneller ist als mein Auto.

Das ist Hugo, eine verwilderte Hauskatze. Der Kater kontrollierte die Nagerpopulation und durchstöberte den Komposthaufen. Im letzten kalten und schneereichen Winter wählte er das windgeschützte Sofa auf der Terrasse als Schlafplatz. Ich servierte ihm morgens warme verdünnte Milch und kalorienreiche Häppchen mit Wasser. Wenn die Teiche zugefroren sind, haben Tiere Probleme, ihren Flüssigkeitsbedarf zu decken. Eine Wurmkur heilte seine Durchfälle. Hugo wurde immer zutraulicher, insbesondere nachdem er ein sehr großes Mauseloch entdeckte, meinen Kühlschrank. Kaum öffnete ich die Tür, rannte er in die Küche und wartete vor der Futterquelle. Ein frisch gefüllter Napf machte erste Berührungen zwischen uns möglich. Im Frühsommer verlor er plötzlich an Gewicht und Energie. Hugo war an feliner infektiöser Peritonitis erkrankt, eine unheilbare Virusinfektion. Wir konnten Hugo nicht helfen.       

Seit einigen Tagen streift ein schwarzer Kater durch den Garten, er hat wohl das Revier übernommen. 

Jeden Morgen bei Sonnenaufgang klopfte es in meinen Träumen. Ich wusste nicht, woher diese Geräusche kamen, bis ich schlaftrunken die Terrasse inspizierte. Ein Buntspecht pickte die restlichen Walnüsse von der winterlichen Vogelfütterung durch die Korbwand auf. Kater Hugos Wachposten auf dem Sofa war nicht mehr besetzt und der Specht nutzte seine Chance. Damit wieder Nachtruhe herrschte, legte ich die übrigen Walnüsse frei zugänglich auf den Boden. Der Specht kam angeflogen, schaute erst durch das Fenster, wer ihm das Essen darbietete, und fing an, eine Nuss nach der anderen zu knacken. Am Abend war er fertig.









 
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